Ausgabenmoratorium – oder aus dem Vollen schöpfen?

Die gesetzlichen Krankenkassen haben wegen ihres hohen Defizits ein Ausgabenmoratorium gefordert – zeitgleich haben sich CDU/CSU und SPD auf ein Sondervermögen geeinigt, aus dem auch Investitionen in die Krankenhäuser bezahlt werden sollen.

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Das Defizit 2024 der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt mit 6,2 Milliarden Euro im 4. Quartal 2024 rund 700 Millionen höher als erwartet. „Wenn die Krankenkassen mehr ausgeben müssen als sie einnehmen, dann führt das zu Beitragssatzerhöhungen. Wir brauchen dringend eine Bremse bei dem fortwährenden Ausgabenanstieg. Mit einem Ausgabenmoratorium kann dafür gesorgt werden, dass die Krankenkassen ab sofort nicht mehr ausgeben müssen, als sie mit dem gegenwärtigen Beitragssatzniveau einnehmen. Das bedeutet: Keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. Das Moratorium müsse so lange gelten, bis durch geeignete Strukturreformen Einnahmen und Ausgaben wieder in ein Gleichgewicht gebracht worden seien. „So werden überproportionale Preis- und Honoraranstiege verhindert. Damit gewinnt die Politik Zeit, um die notwendigen Strukturreformen anzugehen.“

Stoff-Ahnis nannte auch ein konkretes Beispiel für die in den letzten Jahren immens gestiegenen Ausgaben – und ein mögliches Mittel dagegen: „Praktisch alle Parteien haben vor der Wahl gesagt, dass die medizinische Versorgung der Bürgergeldbeziehenden richtigerweise aus Steuermitteln finanziert werden muss. Die künftige Bundesregierung hat es nun in der Hand, dieses Wahlversprechen einzulösen.“ Das würde die gesetzliche Krankenversicherung um rund zehn Milliarden Euro jährlich entlasten, was etwa 0,5 Beitragssatzpunkten entspreche.

AOK schätzt Einsparvolumen auf 35 Milliarden Euro ein

Die AOK hat derweil kurz nach der Bundestagswahl ein „Sofortprogramm 2025“ vorgelegt und sieht hohe Effizienzreserven bei Gesundheit und Pflege. In einem Papier mit dem Titel „Stabile Finanzen für Gesundheit und Pflege – jetzt!“ fordert der AOK-Bundesverband eine Rückbesinnung auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Die künftige Bundesregierung müsse den weiteren Anstieg der Ausgaben dringend abbremsen und wieder an die Einnahmeentwicklung koppeln. Dazu seien eine Reihe von Maßnahmen für mehr Effizienz noch in diesem Jahr anzustoßen und umzusetzen, damit sie im Laufe der Legislaturperiode noch spürbar Wirkung entfalten könnten. Die kurzfristig umsetzbaren Finanzierungs- und Sparvorschläge für die gesetzliche Krankenversicherung und die Soziale Pflegeversicherung (SPV) hätten ein Gesamtvolumen von bis zu 35 Milliarden Euro, hieß es.

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, sagte: „Die neue Regierung darf das nicht einfach so weiterlaufen lassen, sie muss jetzt gleich aktiv werden. Der Handlungsdruck ist inzwischen gewaltig, wir dürfen keine Zeit verlieren. Was wir brauchen, ist ein schnell wirksames Maßnahmenpaket, damit GKV und SPV finanziell wieder Boden unter den Füßen bekommen. Mögliche Stellschrauben haben wir in unserem Papier aufgelistet.“

Neben strukturellen Reformmaßnahmen wie einer konsequenten Umsetzung der Krankenhausreform sowie dem Nachholen einer Reform der Notfallversorgung enthält das Papier in Bezug auf die Einnahmeseite Forderungen wie die schon erwähnte Refinanzierung von kostendeckenden Beitragspauschalen für Bürgergeldbeziehende in der Gesundheitsversorgung. Für den Pflegebereich fordert die AOK-Gemeinschaft eine Dynamisierung des Bundesbeitrags, eine Rückerstattung von Pandemiekosten und die Übernahme der Ausbildungsumlage (9,75 Milliarden Euro).

Als ,dringend angezeigt‘ stuft die Kassengemeinschaft auch die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleiches (RSA) zwischen den Krankenkassen ein. Dessen Zielgenauigkeit müsse unbedingt erhöht werden, die Überdeckung von gesunden Versicherten einerseits und die Unterdeckung vulnerabler Gruppen andererseits müssten weiter abgebaut werden.

Auf der Ausgabenseite sehen die AOKen kurz- bis mittelfristige Effizienzreserven von rund 14 Milliarden Euro. Den größten Hebel böten Maßnahmen im Arzneimittelbereich wie die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent (sieben Milliarden Euro) sowie die Anhebung des allgemeinen Herstellerrabatts von sieben auf 16 Prozent (1,8 Milliarden Euro). Zusammen mit anderen Maßnahmen wie der Streichung der Umlage für pharmazeutische Dienstleistungen (150 Millionen Euro), der Rückwirkung des AMNOG-Erstattungspreises ab Marktzugang (100 Millionen Euro) oder Einsparungen im Hilfsmittelsektor (600 Millionen Euro) sei ein Effizienzpotential von über 9,7 Milliarden Euro vorhanden.

Für den stationären Bereich hat die AOK ein mögliches Sparvolumen von rund 3,5 Milliarden Euro errechnet. Dies könnte unter anderem über die Aufhebung von Prüfquoten bei Krankenhausabrechnungen beziehungsweise über eine bundeseinheitliche Prüfquote (1,1 Milliarden Euro), die Beendigung von Doppelfinanzierungen bei Pflegebudgets (500 Millionen) sowie die Aufhebung der automatischen vollen Tarifrefinanzierung für Personal (500 Millionen Euro) erzielt werden.

Für den ambulanten Bereich regt die AOK die Rücknahme der Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung (500 Millionen Euro) sowie der kinderärztlichen Honorare (270 Millionen Euro) an, außerdem die Streichung der Zuschläge für Terminvermittlung (150 Millionen Euro). „Gerade die Honorargeschenke, die vor der Wahl an die Ärzteschaft gemacht worden sind, schaffen keinerlei Mehrwert für die Versorgung“, so Reimann. Auf der anderen Seite müssten die immer wieder versprochenen, aber nie umgesetzten Entlastungen der GKV und der SPV von versicherungsfremden Leistungen endlich umgesetzt werden, um kurzfristig die Einnahmen zu erhöhen.

DKG unterstützt Forderungen teilweise – und kritisiert Moratoriums-Forderung

Zur Moratoriums-Forderung des GKV-Spitzenverbandes erklärte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß: „Natürlich ist es richtig, dass die GKV angemessen finanziert werden muss und wir dringende Maßnahmen brauchen, um Beitragssatzstabilität zu erreichen. Aber einfach nur bei den Leistungserbringern zu kürzen, ist der falsche Weg.“ Die Forderung der GKV, die Ausgaben dürften nicht stärker steigen als die Einnahmen, verkenne die derzeitige Lage beispielsweise der Krankenhäuser komplett. Schon jetzt werde jede einzelne Leistung, die ein Krankenhaus erbringe, nicht kostendeckend vergütet. Das dadurch verursachte Defizit belaufe sich Monat für Monat auf 500 Millionen Euro. Ein Ausgabenmoratorium würde diese Situation beibehalten und sogar verschärfen. „Diese Vorschläge der Kassenseite würden zur Verschärfung des Fachkräftemangels, Rationierung der Versorgungsangebote und zu Wartelisten für die Patientinnen und Patienten führen. Das muss der Politik klar sein“, so Gaß. Er unterstützte auch die GKV-Forderung nach einer Entlastung der GKV von versicherungsfremden Leistungen. Auch dass die Mittel für den Transformationsfonds aus dem Gesundheitsfonds der GKV getragen werden sollen, nicht aber aus Beiträgen der PKV und des Bundes, bedeute einen tiefen und spürbaren Griff in die Taschen der Beitragszahler.

Geplantes Sondervermögen – auch für den Transformationsfonds?

Nachdem bekannt wurde, dass sich die wahrscheinlichen zukünftigen Koalitionspartner auf Bundesebene darauf geeinigt haben, ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro anzulegen, konkretisierten die Kassen ihre Forderungen. Man müsse diese Chance für eine Stabilisierung der GKV-Finanzen nutzen, hieß es vom GKV-Spitzenverband. Dessen stellvertretende Vorstandsvorsitzendet sagte: „In den Planungen für das Sondervermögen Infrastruktur wird ausdrücklich die Krankenhaus-Infrastruktur erwähnt. Wir erwarten nun, dass die 25 Milliarden Euro schwere verfassungswidrige Teilfinanzierung des Krankenhaus-Transformationsfonds aus Beitragsgeldern gestrichen wird und es stattdessen zu einer sachgerechten Finanzierung aus Steuermitteln kommt.“ Der Umbau der Krankenhaus-Infrastruktur sei und bleibe eine Staatsaufgabe. Damit würden jährliche Mehrausgaben der Krankenkassen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ab dem kommenden Jahr entfallen. Der AOK-Bundesverband forderte ausdrücklich, die zusätzlichen Bundesmittel direkt in den Transformationsfonds fließen zu lassen. Auch Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), begrüßte die Berücksichtigung der Krankenhäuser in dem geplanten Sondervermögen. Bevor jedoch entsprechende Gelder aus dem Sondervermögen fließen würden, müsse geklärt sein, welche Krankenhäuser auch in Zukunft – im Rahmen der Krankenhausreform - einen Versorgungsauftrag bekommen sollen. Qualität und Bedarfsnotwendigkeit müssten dabei die entscheidenden Kriterien sein.

Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gaß begrüßte die Einigung auf ein Sondervermögen und die Einbindung von Krankenhausinvestitionen ebenso. „Es eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, die Gelder des Transformationsfonds für die Krankenhausreform vollständig über Steuern zu finanzieren und nicht wie von Minister Lauterbach geplant, einseitig gesetzlich Versicherte zu belasten. Dadurch entsteht bei den Kassenfinanzen der erforderliche Spielraum, den dringend notwendigen Inflationsausgleich für die Krankenhäuser zu finanzieren und die sich seit 2022 immer weiter öffnende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben der Kliniken wieder zu schließen. Das ist ein unbedingt notwendiger Schritt, um die Versorgung kurz- und mittelfristig zu sichern und die Existenz zahlreicher bedarfsnotwendiger Krankenhäuser nicht zu gefährden.“

Gaß betonte, dass auch über den Transformationsfonds hinaus anstehende unverzichtbare Investitionen mit dem Sondervermögen ermöglicht werden könnten. „Der Klimawandel verlangt ein groß angelegtes Investitionsprogramm, um die Kliniken, ihre Beschäftigten und vor allem ihre Patientinnen und Patienten für die immer häufigeren Wetterextreme zu rüsten. Die Krankenhäuser als Energie-Großverbraucher können selbst einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn sie denn mit dem Ziel der Klimaneutralität umgebaut werden. Für Investitionen z.B. in Wärmedämmung, effiziente Heizungsanlagen und vieles mehr benötigen wir über die kommenden Jahre rund 30 Milliarden Euro.“ Jahrzehntelange strukturelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser habe zum heutigen Investitionsstau geführt – die neue Bundesregierung müsse diesen Stau zügig auflösen.

In dem Papier der Parteien heißt es zum geplanten Sondervermögen konkret: „Es wird ein Sondervermögen Infrastruktur Bund/Länder/Kommunen geschaffen, das mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro ausgestattet wird und eine Laufzeit von 10 Jahren hat. Dieses Sondervermögen soll für Investitionen in die Infrastruktur dienen. Dies umfasst insbesondere Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhaus-Investitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung und Digitalisierung. Davon sollen 100 Milliarden Euro den Ländern und Kommunen für die o. g. Bereiche zur Verfügung stehen.“ Beschlossen werden soll es laut der Beteiligten noch mit den Mehrheiten des alten Bundestages, vor der Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages.

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