Ergebnispapier mit Interpretationsspielraum
Die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege von CDU/CSU und SPD hat ihr Ergebnispapier für die Koalitionsverhandlungen vorgelegt. Die Reaktionen darauf fallen gemischt aus – und die Inhalte werden unterschiedlich interpretiert.
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Das man „eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern“ wolle, bekräftigen die potenziellen Koalitionäre gleich zu Beginn des Papiers. Dafür wage man tiefgreifende strukturelle Reformen, stabilisiere die Beiträge, sorge für einen schnelleren Zugang zu Terminen und verbessere die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, heißt es in der Einleitung des Papiers weiter. Krankheitsvermeidung, Gesundheitsförderung und Prävention sollen gestärkt werden, die ambulante Versorgung soll unter anderem durch die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems bei freier Arztwahl und einer Termingarantie für Facharztbesuche verbessert werden. Können keine Termine vermittelt bzw. eingehalten werden, soll für betroffene Patienten der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht werden. Zudem soll eine flächendeckende Möglichkeit zur strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege geschaffen werden.
Auch die Industrie wird in den Fokus genommen: „Wir stärken die Industrielle Gesundheitswirtschaft, insbesondere die Pharmazeutische Industrie und Medizintechnik, als Leitwirtschaft“ heißt es in dem Papier. Die Versorgungssicherheit soll durch die Rückverlagerung von Produktionsstandorten für kritische Arzneimittel und Medizinprodukte nach Deutschland und Europa gestärkt werden. Auch die AG Wirtschaft hat sich dahingehend festgelegt: „Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln, Wirkstoffen und Medizinprodukten werden wir weiter verbessern.“ Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) bewertet diese Positionen positiv. Der Verband hatte seine Forderungen zur Bundestagswahl 2025 in einem 10-Punkte-Positionspapier zusammengefasst. Er fordert darin unter anderem eine eigenständige MedTech-Strategie mit einem ressortübergreifend abgestimmten Maßnahmenplan. Dazu gehören für den Verband ein Beauftragter der Bundesregierung für die Medizintechnik im Kanzleramt, eine Entbürokratisierungsoffensive, ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz auf Medizinprodukte sowie eine Vergütungssystematik in der Krankenversicherung, die den medizintechnischen Fortschritt und Digitalisierung beflügelt, Pflegekräfte entlastet und Ressourcen einspart.
Bestehende Gesetzentwürfe sollen weiterentwickelt werden
Die AG Gesundheit und Pflege hat in dem Papier festgehalten, einige Gesetzentwürfe des Bundesgesundheitsministeriums, die es nicht mehr durch den parlamentarischen Prozess geschafft haben, weiternutzen zu wollen. So sollen Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf Grundlage der bisherigen Entwürfe auf den Weg gebracht werden. Zur stationären Akutversorgung heißt es: „Wir entwickeln eine qualitative, bedarfsgerechte und praxistaugliche Krankenhauslandschaft aufbauend auf der Krankenhausreform der letzten Legislaturperiode fort und regeln dies gesetzlich bis zum Sommer.“ Den Ländern sollen zur Sicherstellung der Grund- und Notfallversorgung besonders im ländlichen Raum Ausnahmen und erweiterte Kooperationen ermöglicht werden. Und: „um die finanzielle Stabilität der bedarfsnotwendigen Krankenhäuser zu sichern, schließen wir die Lücke aus den Jahren 2022 und 2023 in deren Betriebskostenfinanzierung“ – dafür sollen vier Milliarden Euro bereitgestellt werden. Mit Blick auf die im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) festgelegten Fristen soll es einige Anpassungen geben, so zum Beispiel bei der Vorhaltefinanzierung. Die Zuweisung der Leistungsgruppen soll zum 01.01.2027 auf Basis der 60 NRW-Leistungsgruppen zuzüglich der speziellen Traumatologie erfolgen. Dazu heißt es: „dort, wo es medizinisch sinnvoll ist, werden die Leistungsgruppen in Bezug auf ihre Leistungs- und / oder Qualitätsvorgaben verändert. Dies gilt in gleicher Weise für die Anrechenbarkeit der Ärztinnen und Ärzte pro Leistungsgruppe.“ Die Konvergenzphase soll von zwei auf drei Jahre verlängert, das Jahr 2027 dabei für alle Krankenhäuser erlösneutral ausgestaltet werden, um die neuen Vergütungsregeln und die Wirkung der Vorhaltefinanzierung transparent aufzuzeigen und ggf. nachzujustieren. Zum Transformationsfonds heißt es: „Den bisher für die GKV vorgesehene Anteil für den Transformationsfonds für Krankenhäuser finanzieren wir aus dem Sondervermögen Infrastruktur“ – das Risiko einer Verfassungsklage gegen den Fonds wäre damit aus der Welt.
Nicht zum ersten Mal wird auch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen angekündigt, das Dokumentationspflichten und Kontrolldichte massiv verringern soll. Es soll innerhalb der ersten sechs Monate der neuen Koalition fertig werden. „Alle Gesetze in diesem Bereich werden wir einem Praxis-Check unterziehen“, heißt es weiter. Alle Datenschutzvorschriften und alle Berichts- und Dokumentationspflichten, insbesondere im SGB XI, sollen auf ihre zwingende Notwendigkeit überprüft werden, und solche, die aufgrund der Coronapandemie eingeführt wurden, sollen abgeschafft werden.
Auch das Thema Verteidigung kommt im Papier vor: „Wir schaffen gesetzliche Rahmenbedingen für den Gesundheitssektor und den Rettungsdienst im Zivilschutz- sowie Verteidigung- und Bündnisfall mit abgestimmter Koordinierung und eindeutigen Zuständigkeiten. Hierfür und für Investitionen in die energetische Sanierung und Digitalisierung für die Krankenhaus-, Hochschulklinik- und Pflegeinfrastruktur nutzen wir das Sondervermögen und die Ausnahme von der Schuldenbremse“. Das würde also zusätzliches Geld – neben den 50 Milliarden Euro, die mit dem Transformationsfonds bereitgestellt werden – für die Bereiche bedeuten.
Auf der Ausgabenseite wurde den Verhandlern von verschiedenen Seiten „Fantasielosigkeit“ bescheinigt – die Entwicklung der Ausgaben müsse an die Einnahmeentwicklung angepasst werden, sagte zum Beispiel Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.
DKG sieht großen Interpretationsspielraum
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bewertet die Ergebnisse der Arbeitsgruppe als konstruktive Signale, sieht jedoch an vielen Stellen großen Interpretationsspielraum. Zudem bleibe alles unter dem Finanzierungsvorbehalt der Abschlussrunde. Als positiv bewertete der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß unter anderem, „dass die Arbeitsgruppe Änderungen an der Krankenhausreform in Aussicht gestellt hat. Besonders wichtig ist, dass sie endlich die bestehende Betriebskostenlücke für 2022 und 2023 anerkennt. Eine wichtige Entscheidung ist deshalb die beschlossene Zahlung von vier Milliarden Euro, verteilt auf die Jahre 2025 und 2026“. Das AG-Papier spreche hier von Zahlungen an die ‚bedarfsnotwendigen Krankenhäuser‘ – das seien nach heutiger Rechtslage alle Kliniken, die in den Krankenhausplänen der Länder gelistet seien, eine andere Abgrenzung für den Begriff ‚bedarfsnotwendig‘ gebe es nicht, so Gaß.
Von Seiten der Krankenkassen kommt daher die deutliche Warnung, die vorgesehenen Milliarden nicht ,mit der Gießkanne‘ zu verteilen – und so womöglich Mittel an Häuser zu verteilen, die später im Zuge der Strukturreform schließen müssen oder umgewandelt werden könnten.
Die neue Koalition habe die Chance, das Gesundheitswesen insgesamt und damit auch die Krankenhäuser von Kosten zu entlasten, wenn sie die Ankündigungen der Koalitionsarbeitsgruppe zum Bürokratieabbau mutig und umfassend anpacken würde, so Gaß. Positiv sieht die DKG auch das Bekenntnis der Arbeitsgruppe, den Bundesländern mehr Spielraum bei der Krankenhausreform hinsichtlich Grund- und Notfallversorgung einzuräumen. Ebenso begrüßt sie die Ausweitung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen Krankenhäusern und die Überprüfung der bisher gesetzten Personal- und Strukturvorgaben für die Leistungsgruppen. Letztlich werde entscheidend sein, ob diese Reformpläne zur Krankenhausreform tatsächlich umgesetzt werden und ob die neue politische Führung des Gesundheitsministeriums dazu wirklich die Bereitschaft habe. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der geplanten Anpassungen der Krankenhausreform sei die Bereitschaft des Bundesgesundheitsministeriums, gemeinsam mit den Selbstverwaltungspartnern nach praxistauglichen Lösungen zu suchen.
Als ,unzureichend‘ bewertet die DKG die Aussagen der Arbeitsgruppe zur Vorhaltefinanzierung. „Hier hätten wir uns mehr Mut zur Abkehr vom bisherigen Modell gewünscht. Alle bisher vorgelegten Studien und Auswirkungsanalysen zeigen, dass dieses Modell die damit verbundenen politischen Ziele verfehlt“, so Gaß. Ein Lichtblick sei jedoch die Verlängerung der Konvergenzphase und die Herausnahme des Jahres 2027 aus den bisherigen Fristen. Die zuvor geplanten Fristen seien nicht nur extrem kurz, sondern auch sachlich nicht angemessen gewesen.
Die geplante Öffnung der Krankenhäuser für fachärztliche Leistungen klingt für die DKG vielversprechend, allerdings müsse die Umsetzung verlässlich für die Kliniken erfolgen. Krankenhäuser dürften nicht als ,Ausfallbürgen‘ für den niedergelassenen Bereich herhalten müssen, wenn es den Kassenärztlichen Vereinigungen gerade passe.
„Gänzlich diffus erscheinen die Pläne zur Ausweitung der Hybrid-DRGs. Hier können wir uns keinen Blindflug zu Lasten der Patienten erlauben. Zunächst brauchen wir eine Evaluation der bestehenden Regelungen, bevor eine Ausdehnung ohne fundierte Erkenntnisse erfolgt. Zudem ist es essenziell, dass aus Gründen der Patientensicherheit die Klinikstruktur weiterhin als Grundvoraussetzung für Hybrid-DRGs bestehen bleibt“, so Gaß.
Ein bedeutender Fortschritt sei die Entscheidung, die Mittel des Transformationsfonds nicht zur Hälfte von GKV-Versicherten finanzieren zu lassen, sondern aus dem Sondervermögen zu nehmen, so die DKG. Weiter heißt es: „ausdrücklich positiv sehen wir die Absicht, neben den Investitionen zum Umbau der Krankenhauslandschaft aus dem Transformationsfonds, weitere, zusätzliche Investitionen in die Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sowie zur Krisenresilienz und Vorkehrungen für militärische Auseinandersetzungen aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen bereit zu stellen“. Zudem begrüßt die DKG das ,deutliche Bekenntnis‘ zu einem Gesetz zur Bürokratieentlastung im Gesundheitswesen. „Das Bekenntnis zu einer Vertrauenskultur, Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Berufsgruppen darf jedoch nicht nur auf dem Papier stehen – es muss realisiert werden. Allerdings muss sich die Arbeitsgruppe bewusst sein, dass sie in ihrem Papier noch mehr bürokratische Belastungen einplant. Es spricht zum Beispiel von zusätzlichen Personalbemessungsinstrumenten, die eingeführt werden sollen. Angesichts des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels ist das ein völlig falsches Signal. Wer Unternehmen – und dazu gehören auch Krankenhäuser – tatsächlich in ihrer Agilität und ihrem Vertrauen stärken will, muss den Worten zum Bürokratieabbau endlich auch Taten folgen lassen“, so Gaß. Das sei der einzige Weg, um die Frustration der Beschäftigten in Kliniken, Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen zu verringern und das immense Potenzial dieser Institutionen zu nutzen.
Insgesamt erkennt die DKG positive Ansätze, sieht aber weiterhin viele offene Fragen. „Wir werden den Gesundheitsminister oder die Gesundheitsministerin und die Koalition stets an diese Beschlüsse erinnern, aber sind auch bereit, konstruktiv an der Umsetzung der Beschlüsse mitzuarbeiten. Jetzt kommt es darauf an, was die neue Leitung im BMG aus den formulierten Zielen und Vorhaben macht“, so Gaß.