Interview: Die Zukunft jetzt erleben
Beim ,Hospital of the Future‘, einer gemeinsamen Ausstellung der DGTelemed und des Deutschen Krankenhaustags im Rahmen der Medica, kann man im November einen tiefen Einblick in die Versorgung der Zukunft gewinnen.
Im Interview mit der KTM: v.l. Prof. Gernot Marx, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) und Günter van Aalst, stellv. Vorstandsvorsitzender der DGTelemed. Bilder: Privat und IZDM/Uniklinik RWTH Aachen
Redakteur Sven C. Preusker sprach für die KTM mit Prof. Gernot Marx, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) und Günter van Aalst, stellv. Vorstandsvorsitzender der DGTelemed.
Die DGTelemed wird auf der Medica im November mit einem besonderen Stand vertreten sein – dem ,Hospital of the Future‘. Was ist da zu sehen?
Prof. Gernot Marx: Das ,Hospital of the Future‘ haben wir letztes Jahr auf der Medica zum ersten Mal veranstaltet, 2024 gehen wir in die zweite Runde. Dieses Mal ist es eine gemeinsame Veranstaltung der DGTelemed und des Deutschen Krankenhaustags. Wir wollen Interessierten ein Fenster in die Zukunft der Krankenhausversorgung öffnen. Krankenhäuser stehen derzeit vor tiefgreifenden Veränderungen, nicht zuletzt durch die notwendige Konzentration medizinischer Leistungen auf spezialisierte Standorte, die die Krankenhausreform mit sich bringen wird. Nordrhein-Westfalen ist da ganz vorne. NRW-Gesundheitsminister Laumann (CDU) setzt die Krankenhausreform, aus der unweigerlich eine Reduktion der Versorgungsangebote an kleineren und regionalen Standorten resultiert, derzeit bereits um. Damit einher geht auch ein Risiko von Versorgungslücken, gerade eben in der Fläche, in den ländlichen Regionen. Die verbleibenden Krankenhäuser haben auf der einen Seite die große Aufgabe, die hohen Qualitätsanforderungen und -standards einzuhalten und auf der anderen Seite wirtschaftlich tragfähig zu bleiben. Hier kommt der digitalen Vernetzung und insbesondere der Telemedizin eine zentrale Rolle zu – wir sagen: Krankenhausform ohne Telemedizin wird nicht funktionieren.
Beim ,Hospital of the Future‘ zeigen wir, wie man mittels moderner, innovativer Technologie, Telemedizin und digitaler Vernetzung Versorgungssicherheit gewährleisten kann. Darüber hinaus hat Digitalisierung das Potenzial, Zugangsbarrieren abzubauen und insgesamt die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern.
Günter van Aalst: Wir möchten praktische Anwendungen demonstrieren und zeigen, welche Chancen Digitalisierung für das Krankenhaus in verschiedenen Anwendungsszenarien bietet. Beim ,Hospital of the Future‘ werden wir auch Möglichkeiten zum Aufbau einer digitalen Infrastruktur für ein Krankenhaus demonstrieren. Hierfür gibt es viele Angebote und dementsprechend viele Fragen – wie kann ich das bewerten, was macht Sinn, was ist auch kostenmäßig sinnvoll und was passt zueinander? Darüber hinaus widmen wir uns den Themen Datenintegration, Telekonsultationen und proaktives Behandeln mit künstlicher Intelligenz. Der Fokus liegt auf dem Bereich der Intensivmedizin.
Warum setzen Sie diese Schwerpunkte gerade jetzt?
Prof. Gernot Marx: Es findet zurzeit eine ganz wichtige Strukturinnovation statt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im Oktober letzten Jahres die Einrichtung von sogenannten G-BA Intensivzentren beschlossen. Hier sind Telemedizin und digitale Infrastruktur ein ganz wesentlicher Bestandteil. Im ganzen Bundesgebiet beantragen gerade vor allem universitäre Zentren, als G-BA Intensivzentrum ausgewiesen zu werden.
Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres werden diese Ausweisungen stattfinden und dann wird in ganz Deutschland tatsächlich eine datengetriebene Telemedizin etabliert. Auf Grundlage dieses Beschlusses können wir datengestützte Telekonsile durchführen, sogar Telemonitoring wird möglich. Dadurch können wir Patientinnen und Patienten personalisiert und vorausschauend versorgen. „Weit entfernt und dennoch den Patienten im Blick“ lautet die Devise. Die zahlreichen generierten Daten dienen der innovativen Versorgung und Forschung. Deswegen setzen wir gerade auf dieses Thema – ein aktueller Prozess, der die Versorgung unserer schwerstkranken Patientinnen und Patienten erleichtern wird.
Günter van Aalst: Es ist wirklich an der Zeit. Aus zwei Gründen: Bei intensivmedizinischen Zentren ist es jetzt erstmalig gelungen, hochspezialisierte Expertenzentren mit Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung zu vernetzen. Das ist über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziell abgesichert. Das ist aber nur ein kleiner Schritt – auch andere Fachbereiche sollten von Telemedizin profitieren und Leistungen, die nicht vor Ort vorgehalten werden können, telemedizinisch erbringen können. Damit dies gelingt, braucht es eine funktionierende digitale Infrastruktur und passende Regelungen zu Budget und Vergütungen.
Jetzt haben sie die Regulierung schon angesprochen. Was ist denn auf regulatorischer Ebene in den letzten Jahren passiert, was die Telemedizin und ihren Nutzen nach vorne bringen kann – und was fehlt noch?
Günter van Aalst: Telemedizin ist kein einzelnes Instrument, sondern eine Ergänzung - nämlich für die Dinge, die an einem Standort nicht mehr vorhanden sind, stattdessen aber digital und telemedizinisch erbracht werden können. Telemedizin ist ein Nutzeneffekt für alle Beteiligten. Patientinnen und Patienten können am Standort bleiben. Auch ein Krankenhaus profitiert, da es sich zusätzliche Informationen und medizinische Kompetenz einholen kann, ohne diese permanent vorhalten zu müssen. Derzeit gibt es dazu noch viele offene Fragen. Es muss klar sein, wie Leistungen ergänzend erbracht werden und wie sie eingekauft werden können. Das ist alles nicht klar geregelt. Darüber müssen wir offen reden und gemeinsam Lösungen erarbeiten.
Künstliche Intelligenz ist ein Thema, das momentan viel Aufmerksamkeit erregt. Welche Bedeutung hat KI im ,Hospital of the Future‘?
Prof. Gernot Marx: Lassen Sie mich es an einem Beispiel konkret machen: der Blutvergiftung, der Sepsis. Weltweit sterben an der Sepsis jedes Jahr ca. 20 Millionen Patientinnen und Patienten. Das ist wirklich eine große Bedrohung, nicht nur hier in Deutschland, sondern global. Es ist uns schon vor Jahren gelungen, mit 17 Standardparametern, die wir jeden Tag auf Intensivstationen erheben, einen Algorithmus zu erstellen, mit dem man Sepsis zehn bis zwölf Stunden, bevor es klinisch evident wird, erkennen kann – aufgrund von sehr kurzfristigen, kleinen Änderungen, die man sonst einfach übersehen kann. Auf der Intensivstation haben wir über 1.000 Daten pro Patient pro Stunde. Ein KI-Algorithmus hilft uns dabei, die wesentlichen Daten herauszufiltern. Das gibt uns einen enormen Zeitvorsprung. Jede halbe Stunde, die man einem Patienten mit einer Blutvergiftung das korrekte Antibiotikum früher gibt, senkt die Sterblichkeit um sechs Prozent. Die Behandlung ist also sehr, sehr zeitkritisch. Wenn wir mithilfe von KI zehn bis zwölf Stunden gewinnen, wäre das ein riesiger Vorsprung.
Am Beispiel von Lungenversagen haben wir auf der Grundlage von vielen tausend Intensivpatientinnen und -patienten in Deutschland einen Algorithmus entwickelt, der dieses sogar zwei Tage früher vorhersagen kann. Ein Projekt dazu haben wir während der Pandemie im Rahmen der Medizininformatik-Initiative durchgeführt. Da geht es wirklich darum, Menschen zu retten und zurück ins Leben zu bringen. Und darum ist das hier für uns im „Hospital of the Future“ ein ganz zentrales Thema.
Günter van Aalst: Sie sehen also, was alles möglich ist. Doch diese Möglichkeiten können wir nur mit verfügbaren Daten und einer funktionierenden digitalen Infrastruktur voll ausschöpfen. Wir müssen Gesundheitsdaten verfügbar und nutzbar machen und brauchen Transportwege, zum Beispiel Cloudlösungen, die medizinische Daten sicher und datenschutzkonform transportieren. Das setzt voraus, dass wir uns neben dem medizinischen Nutzen auch mit der technischen Seite beschäftigen. Gerade die Vielfalt an Daten, die bei Intensivpatienten anfällt und notwendig zur Beurteilung des Krankheitszustandes ist, muss nutzbar gemacht werden – sprich: Daten müssen gesammelt, entsprechend aufbereitet und ausgegeben werden, so dass Behandelnde schnell und sicher Entscheidungen treffen können. Lösungen, die genau das können, zeigen wir ganz pragmatisch beim ,Hospital of the Future‘.
Wie schätzen Sie denn die Akzeptanz von KI-gestützten Verfahren ein? Und zwar sowohl auf Seite der Patienten als auch auf Seite der Kliniker?
Prof. Gernot Marx: Auf Seiten der Kliniker haben wir im Rahmen der Medizininformatik-Initiative umfangreiche Befragungen durchgeführt und eine sehr hohe Akzeptanz festgestellt – gerade in Verbindung mit smarten technischen Lösungen. Sehr wichtig ist Transparenz dazu, wie diese Algorithmen entstehen und wie die Daten dafür verwendet werden. Dieses Vertrauen aufzubauen, halte ich für eine wichtige Aufgabe der DGTelemed, auch im Rahmen des „Hospital of the Future“. Wir wollen offen und konstruktiv diskutieren, transparent informieren, Zweifel und berechtigte Fragen ernst nehmen und klar beantworten.
Beim Thema Gesundheitsdaten treiben viele Menschen die Themen Datenschutz und Datensicherheit um. Wird das auch noch mal ein eigener Schwerpunkt sein?
Günter van Aalst: Wir zeigen die Möglichkeiten unterschiedlicher Softwareangebote und werden dabei natürlich auch die Themen Datenschutz und Datensicherheit ansprechen. Gerade wenn es in den KI-Bereich geht, sind das Lösungen, bei denen man überlegen muss, wie man cloudgestützt arbeiten kann, um die Daten nicht transportieren zu müssen.
Das hört sich nach einer sehr spannenden Veranstaltung an und ich hoffe, dass viele Besucher kommen und sich über das Krankenhaus der Zukunft und die Versorgung der Zukunft informieren werden.
Prof. Gernot Marx: Wir freuen uns sehr auf die Gelegenheit, im Rahmen des „Hospital of the Future“ mit Interessierten in Kontakt zu treten. Bei uns können Sie live erleben, was datengetriebene Telemedizin und innovative Produkte heute schon in der Lage sind umzusetzen. Dafür bieten wir geführte Rundgänge an. Das ist eine ganz spannende und tolle Gelegenheit, um die Zukunft heute schon zu erleben. Sie können sich jetzt schon auf unserer Webseite für die Rundgänge anmelden.