Werner: Es fehlt an Mut und Entschlossenheit
Prof. Dr. Jochen A. Werner ist seit 2015 Vorstandvorsitzender des Universitätsklinikums Essen. Im Interview mit KTM-Redakteur Sven C. Preusker spricht er über die Herausforderungen, die eine grundsätzliche Neuausrichtung der Kliniken nötig machen – und über die Lösungen.
Prof. Dr. Jochen A. Werner ©Sylta Fee Wegmann, Berlin
Sven Preusker: Dass eine Reform der Krankenhausversorgung (und der Gesundheitsversorgung allgemein) notwendig ist, darüber herrscht ja weitestgehend ein Konsens. In Ihrem im Februar erscheinenden Buch ,Krankenhaus geht besser‘ beschreiben Sie vier Grundprinzipien, mit denen aus Ihrer Sicht eine Neuausrichtung der Krankenhäuser möglich wäre. Welche Prinzipien sind das und was können sie bewirken?
Prof. Dr. Jochen Werner: Ich plädiere für eine grundsätzliche Neuausrichtung, die sich an den vier zentralen Prinzipien smart, economic, green und human orientiert, also an Digitalisierung, Ökonomie, Nachhaltigkeit und natürlich auch an Menschlichkeit. Alle diese Faktoren sind keine Widersprüche, sondern untrennbar miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig.
Ausgehend von unserer ursprünglichen Vision eines Smart Hospitals braucht es den sinnvollen Einsatz von digitalen Systemen und immer stärker auch Künstlicher Intelligenz. Beides trägt entscheidend dazu bei, die klassische medizinische Behandlung besser und sicherer zu machen, vor allem aber auch Prozesse im Krankenhaus zu beschleunigen und administrative Aufwände zu reduzieren. Schon allein dadurch wird das Krankenhauswesen effizienter, was mich zum Grundprinzip der Ökonomie führt und deutlich machen soll, dass es hier nicht um eine reine Kostenersparnis geht, sondern viel mehr um eine nachhaltige Effizienzsteigerung mit Blick auf den Menschen. Wirtschaftlichkeit und Versorgungsqualität müssen wieder in Einklang gebracht werden.
Wer den Menschen in den Mittelpunkt seines Handelns stellt, muss angesichts der aktuellen Klimasituation zwangsläufig auch zu dem Schluss kommen, dass das Krankenhaus der Zukunft klimafreundlich und ressourcenschonend sein muss. Das Prinzip ,green‘ unterstreicht die Notwendigkeit, Krankenhäuser als signifikante Emittenten ökologisch nachhaltiger zu gestalten, um Ressourcen zu schonen und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Alle Prinzipien zahlen am Ende darauf ein, die Krankenhäuser als Rückgrat der gesamten medizinischen Versorgung wieder menschlicher zu machen. Das Prinzip der Humanität betont den Menschen als zentralen Faktor. Er muss, als Patient und Mitarbeitender, wieder stärker in den Fokus rücken, um eine empathische, hochwertige und tragfähige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten – in Zeiten des Arbeitskräftemangels und des demografischen Wandels eine wirklich große, aber lösbare Herausforderung.
Preusker: Als zentralen Faktor für eine gelingende Transformation nennen Sie einen drastischen Bürokratieabbau. Worin liegt denn der Grund für diese überbordende Bürokratie, die von verschiedensten Seiten (nicht nur, aber gerade im Gesundheitswesen) beklagt wird?
Prof. Werner: Umfassende digitale Infrastrukturen sind in vielen anderen Ländern längst Standard und werden zum Teil sogar schon wieder modernisiert. Im Gegensatz dazu sind die Prozesse in zahlreichen deutschen Kliniken immer noch stark von Papierdokumentation, analogen Abläufen und fragmentierten IT-Systemen geprägt. Wir hängen hier einfach deutlich hinter dem internationalen Standard zurück, die Medizin ist ein Spiegel der aktuellen Situation in weiten Teilen der Industrie und der Gesellschaft insgesamt.
Derzeit verbringen Ärzte und Pflegekräfte teilweise mehr als 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Dokumentationsaufgaben und Verwaltungsprozessen. Das ist angesichts der knappen Ressource Personal im ,People‘s Business‘ Medizin eigentlich unfassbar, man kann auch sagen ein Skandal. Kein Wirtschaftsunternehmen könnte im Wettbewerb so überleben.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet vor, dass wir viele zehntausend Vollkräfte im ärztlichen und pflegerischen Dienst freisetzen könnten, wenn der Dokumentationsaufwand nur um eine Stunde reduziert werden könnte. Wir reden also über durchaus machbare Hausaufgaben. Auch die elektronische Patientenakte (ePA), die eigentlich schon längst eine zentrale Rolle in der modernen Gesundheitsversorgung spielen sollte, wird in Deutschland gerade erst – gegen immer noch erhebliche Widerstände aufgrund eines angeblich nicht genügenden Datenschutzes – eingeführt.
Die Gründe für das strukturell immer noch eher altertümliche Gesundheitssystem sind sicher vielschichtig. Aber ich denke, wir können es am Ende darauf herunterbrechen, dass es an Mut und Entschlossenheit fehlt, wirklich etwas ändern zu wollen. Vor allem aber fehlt es auch an Technologieoffenheit und -freundlichkeit. Die Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie hing immer auch mit einer Vorreiterrolle in Schlüsselindustrien wie der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau zusammen. Heute denken wir zunächst an das Regulieren, nicht das Nutzen neuer Technologien.
Insofern blicke ich mit großer Sorge nicht nur als Mediziner, sondern auch und gerade als Bürger dieses Landes auf unsere scheinbar verloren gegangene Fähigkeit zur tatsächlichen Innovation, nicht nur zur Optimierung des Vorhandenen. Auch hier sieht man: Die Medizin, die Gesundheitsversorgung insgesamt sind nicht isoliert, sondern Resonanzboden und Indikator des Zustandes unserer Gesellschaft.
Preusker: Und wie kann da Abhilfe geschaffen werden – politisch, organisatorisch, technologisch?
Prof. Werner: Genau so, durch eine Kraftanstrengung auf allen Ebenen! Es braucht hier die Zusammenarbeit aller Akteure – von der Politik über die Gesundheitsbranche bis hin zur Bevölkerung. Der Gesetzgeber nimmt vielen die Luft zum Atmen. Solange bürokratische Hürden und auch der Datenschutz den Alltag dominieren, bleibt es bei einem unerträglichen Stillstand, der die Versorgung der Patienten und die Motivation der Mitarbeitenden gleichermaßen belastet. Es braucht also zunächst einmal eine zukunftsorientierte Geisteshaltung und als unmittelbare Folge die Entbürokratisierung durch den Abbau entsprechender Vorgaben aus der Politik.
Das wird sich automatisch dann auch positiv auf die Organisation der Krankenhäuser auswirken. Schließlich – und das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Hebel – lassen sich mithilfe digitaler Systeme nicht nur innerklinische und betriebliche Arbeitsabläufe erleichtern, sondern auch der wachsende systemische Verwaltungsaufwand lässt sich reduzieren. Zudem braucht es am Ende auch die smarten, sprich mündigen Patienten, die die digitalen Systeme aktiv nutzen, einfordern und unterstützen.
Preusker: Wenn man sich die vielen Herausforderungen für die Krankenhäuser anschaut, gerade auch was den Ressourcenverbrauch und die oft schon in die Jahre gekommenen baulichen Strukturen angeht – ist da die Sanierung ein gangbarer Weg?
Prof. Werner: Eine zentrale Rolle spielt natürlich die Energieeffizienz, diese lässt sich im Bestand nur bedingt verbessern. Hinzu kommt, dass Sanierungen generell schwierig und kostenintensiv sind. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit wäre es deshalb eigentlich in vielen Fällen sinnvoller, eine neue Klinik auf die grüne Wiese zu stellen, mit dem Fokus auf Funktionalität, Menschlichkeit und eben Nachhaltigkeit. Ein Neubau wäre also aus vielen Gründen oftmals sinnvoller.
Aber man sollte nicht außer Acht lassen, dass sich auch durch viele andere Maßnahmen Ressourcen einsparen lassen. Da habe ich den Eindruck, dass noch vieles auf der Strecke bleibt, ich denke zum Beispiel allein daran, was Verhaltensänderungen wie das Ausschalten von Licht und Heizung oder Abfallvermeidung schon bringen können. Die Summe vieler kleiner Projekte bedeutet messbaren Ertrag, das sehen wir bei uns an der Universitätsmedizin Essen ganz deutlich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Buch ,Krankenhaus geht besser' wird am 20. Februar von 14.00-14.45 Uhr von Prof. Werner online vorgestellt.
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